Valencia und seine Weinbauregionen – ein Besuch

Dezember ist eigentlich nicht so meine bevorzugte Zeit, um auf die iberische Halbinsel zu reisen. Nicht richtig kalt, aber oft feucht und ungemütlich. Vor allem, weil die Gebäude anders isoliert sind und heizen anders vonstattengeht. Nicht dauerhaft, sondern punktuell, und dadurch ist es dann trotzdem oft ungemütlich.

Ciudad de las Artes y las Ciencias
Blick vom Sporthafen zur Strandpromenade

Dieses Mal hatte ich aber richtig Glück. Ankunft in Valencia bei strahlendem Sonnenschein und fast 20°C. So machte es dann wirklich spaß, am Nachmittag die Stadt zu erkunden und alte Freundschaften wiederzubeleben.

Die drei offiziellen Tourtage waren jeweils einer der drei Herkunftsgebiete gewidmet. Utiel-Requena, Valencia selbst und Alicante. Die Organisation durch das staatliche Institut für Wettbewerbsfähig in Valencia war gut durchdacht, auch wenn – wie so oft – auch „politisch bedingte“ Besuche eingebaut waren. Dazu aber später. Neben den drei erwähnten Herkunftsgebieten, gibt es noch die Landweinregion Castellón (bzw. Castelló, wie es in Valencian geschrieben wird), sowie zwei Pago-DO’s. Oder sind es drei Pagos DO’s? Neben den beiden offiziellen Pago-Herkünften El Terrerazo (Mustigillo) und Los Balagueses (Vegalfaro) behauptet die Kellerei Pago de Tharsys die Anerkennung als DO zu haben. Nur habe ich bislang keine Quellen gefunden, welche diese Aussage bestätigen.

Mit Produzenten aus Castellón konnten wir den ersten Abend verbringen und so auch diesen Bereich bei einem Dinner etwas kennenlernen. Glücklicherweise kein großes, gesetztes Abendessen, sondern ein eher unkomplizierter Abend an einem großen Tisch mit den Bodegas in der Casa Montaña, begleitet von rustikalen Tapas, die auf hochwertigen Grundprodukten basierten. Tomaten mit etwas Olivenöl, Salz und Knoblauch. Phantastisch! Cecina de León, getrocknetes Rindfleisch. Klasse! Marinierter Thunfisch. Atemberaubend!

Bei den Produzenten aus Castellón gab es – ganz klassisch – den Mix von Leuten, die eine Idee haben und diese mit Leben erfüllen und solchen, die zwar eine Idee haben, aber sich von der eigentlichen Idee aus vermeintlichen Vermarktungsgründen abbringen lassen und somit ohne „Story“, ohne nachvollziehbares Konzept dastehen. Ich will hier niemanden verurteilen. Ich weiß nicht, wie ich es machen würde, wenn ich an deren Stelle wäre. Wein produzieren ist das eine. Diesen zu verkaufen das nächste. Ich will hier aber diejenigen hervorheben, die mir persönlich positiv aufgefallen sind. Mir. In diesem Moment. In dieser Situation. Ich traue mir zu eine gewisse „Objektivität“ wahren zu können, aber doch bin ich Mensch und ich kann mich nicht davon lossprechen, dass ich nicht auch durch Rahmenbedingungen beeinflussbar wäre.

Gleich der erste Wein des Abends überraschte mich – und zwar sehr positiv. 2015 Beni von Cellar la Muntanya aus der Umgebung des Ortes Muro. Die Cuvée aus Malvasia und Garnacha Blanca faszinierte mich durch die Mischung aus Fruchtnoten und würzigen Elementen, untermalt von ätherischen Noten. Sehr eigenständig und authentisch. Die typischen, althergebrachten Rebsorten der Region von kleinen, alten Parzellen, so die Idee des Weingutes. Gut umgesetzt.

Vormittags hatten wir die Gelegenheit Bodegas Mustiguillo mit der eigenen Pago-DO „El Terrerazo“ zu besuchen. Das erste was mir auffiel – obwohl ich es eigentlich wusste – war die Klimaveränderung von der Küste zum Hinterland. Milde Temperaturen von 10-12 °C am Morgen in der Stadt und frische 2-3 °C mit Raureif anderthalb Stunden später auf über 800 m Höhe bei Mustiguillo. Und damit ist sicherlich auch schon eines der „Geheimnisse“ gelüftet, wieso die Weine von dort so sind, wie sie sind. Kühl und von Frische getragen. Toni und Rafa war es wichtiger, uns ein paar Weinberge zu zeigen, als lange durch die Kellerei zu streifen. Typisch irgendwie. Denn Kellereien haben wir alle schon hundertfach gesehen. Weinberge jedoch auch. Aber im Weinberg kann viel mehr von der Idee die hinter den Weinen steckt gezeigt werden, als in der Bodega. Oft. Nicht immer. Hier war es so. Eindrucksvoll und in den Weinen – die wir dann im Warmen verkostet haben – war die Idee erlebbar. Von den einfachen mestizaje blanco und tinto, über den rebsortenreinen Finca Calvestra Merseguera bin hin zu den beiden Topweinen Finca Terrerazo und Quincha Corral. Durchgehend geprägt von einer belebenden Säure und ausgewogener Aromatik. Highlight der Probe war für mich der 2006 Quincha Corral, mit dem Toni Sarrión uns die Lagerfähigkeit seines reinen Bobals aus teilweise fast 100 Jahre alten Rebanlagen zeigen wollte. Und konnte! In einer Blindprobe hätte ich diesen Wein deutlich jünger eingeordnet mit seiner fast noch jugendlichen Art. Dunkle Beerenfrucht – nicht eingekocht! – etwas rauchige Noten, Tabak, Schokolade und dezent Lakritze. Dazu ein feiner Säurezug und ein Potential von sicherlich weiteren 10-15 Jahren. Chapeau!

Mittags ging es dann nach Requena, wo in einer ehemaligen und toll hergerichteten Kirche eine offene Verkostung für uns vorbereitet war. Es ist schon ein leicht beklemmendes Gefühl, wenn man als 10-köpfige Gruppe eine Kirche betritt, die Gespräche verstummen und wir plötzlich von fast 50 Augenpaaren beobachtet werden. 21 Kellereien aus Utiel-Requena hatten Tische mit ihren Weinen aufgebaut und erwarteten nun gespannt unseren Besuch sowie unsere Einschätzungen. 21 Kellereien mit jeweils mindestens 3-4 Weinen innerhalb von zwei Stunden hieß aber auch, dass nicht viel Zeit für ausführliche Gespräche blieb, wenn man Interesse halber und höflicherweise alle Tische ansteuern wollte. Bei einigen Tischen war es gut, dass ich nur kurz Zeit hatte. Mit anderen Produzenten hätte ich mich gerne länger ausgetauscht.

Durch die „politischen“ Rahmenbedingungen – die Verkostung war der DO Utiel-Requena gewidmet – hatten einige Bodegas dann auch wirklich „nur“ ihre Weine aus der DO dabei, nicht aber die Weine der eigenen Pago-DO, wie zum Beispiel Bodegas Vegalfaro mit der zusätzlichen Herkunftsbezeichnung „Pago de Los Balagueses“. Aber so ist das Spiel. Man kann nicht immer alles unter einen Hut packen. Der eine oder andere Produzent hat dann zufälligerweise noch eine weitere Flasche „unter dem Tisch“, der andere hält sich strenger an die Regeln. Leider oder richtig so ?!?

Bei Vegalfaro werden die meisten Weine als DO Utiel-Requena vermarktet und nur die drei Top-Weine unter der eigenen Pago-DO, von denen ich den 2013 Pago de los Balagueses, Garnacha Tintorera – Merlot bereits vor einigen Wochen in heimatlichen Gefilden verkostet hatte. Von den Weinen aus Utiel-Requena ist mir am positivsten der 2014 Caprasia Bobal aufgefallen.

Andere Bodegas, die ich positiv in Erinnerung behalten habe, sind

  • Aranleón mit dem Aranleón Sólo Tinto 2014 (Bobal, Tempranillo und Syrah)
  • Chozas Carrascal mit dem las2ces tinto 2015 (Bobal, Tempranillo und Syrah)
  • Dominio de la Vega mit dem Paraje Tornel 2013 und dem Finca La Beata 2013 (beides reine Bobal)
  • Bodega Sierra Norte mit dem Cerro Bercial tinto 2014 (Bobal und Cabernet)

Interessant war es für mich – im Nachhinein – zu erkennen, dass drei der fünf positiv aufgefallenen Weingüter eine Bio-Zertifizierung haben. Ebenso wie Mustiguillo. An Zufall kann ich da kaum noch glauben. Vor allem, da es die Klimabedingungen in der Region eigentlich sehr einfach machen, ökologisch zu arbeiten. Die, die sich mehr Gedanken machen, scheinen auch ein „mehr“ in die Flasche zu kriegen. Gut so!

Der zweite Tag war der DO Valencia gewidmet und begann mit einem Wechselspiel, welches kaum hätte extremer sein können: zuerst ein Besuch bei Bodega La Viña und dann bei Celler del Roure. Bei der Cooperative hieß es weiße Einwegjacken und Mützen anziehen – wegen der BRC-Zertifizierung – und dann das sehen, was wir alle kennen. Fässer, Barriques, Abfüllanlage … Alles nett und sauber. Genauso wie die Weine. Korrekt, marktkonform, gut verpackt (bis auf die z.T. viel zu schweren Flaschen). So, wie es (vermeintlich ?!?) der Konsument haben möchte. Daher auch vor allem im Export (80%) und in Ländern wie China und Russland sehr erfolgreich. Erfolg ist richtig, gut und wichtig. Aber ganz ehrlich? Diese Weine interessieren mich nicht. Sie sind gut gemacht, aber vor allem gemacht. Die passen zu den Märkten. Aber nicht zu mir. Trotzdem respektiere ich diese Produzenten, die ihren – kommerziell erfolgreichen – Weg gehen. Es ist eine moderne Genossenschaft, die es so schafft, den Ort und die Genossen am Leben zu erhalten. Anscheinend sogar recht erfolgreich. Die Weine haben sicherlich eine Daseinsberechtigung. Aber ich muss sie nicht mögen oder trinken.

Als Kontrastprogramm dann der Besuch bei Celler del Roure, einem kleinen familiengeführten Weingut im Tal „Les Alcusses“. Bei Umbauarbeiten wurde ein unterirdischer Weinkeller aus dem 17. Jahrhundert entdeckt und wieder freigelegt. In diesem befinden sich alte, im Boden eingelassene Tonfässer, die zum Teil heute wieder zur Reifung der Weine verwendet werden. Da nur wenige der alten Amphoren noch zu verwenden sind, wird derzeit zusätzlich ein Stollen gegraben, der mit neuen und gebraucht gekauften alten Tonfässern bestückt werden soll. In diesen Tomfässern wurde auch der 2015 Cullerot für sechs Monate gereift, um ihm eine Microoxidation zu ermöglichen, ohne den Wein mit Holzaromatik zu schminken. Hauptrebsorte der Cuvee ist Verdil, eine autochthone Sorte der Region, ergänzt mit Macabeo, Pedro Ximenez und Malvasia. Ein frischer und zugänglicher Wein, der dennoch seinen ganz eigenen Charakter hat. Durch den Ausbau eher cremig und ausgewogen, dabei aber auch klar und mit einem tollen Spannungsbogen. Eine Entdeckung für mich. Die nächste Entdeckung – immer noch beim gleichen Weingut – war dann der 2015 Safrá, ein Rotwein, der fast eine Weißweinstilistik zu eigen hat. Größtenteils aus der Rebsorte Mandot gekeltert und mit einer feingliedrigen Frucht ausgestattet. Elegant, mit gewaltigem Trinkdruck und schlanken 12,5 % vol. Wow!

Auch die Valencianos wollten uns weitere Weingüter präsentieren, ohne uns wie eine asiatische Reisegruppe durch die Gegend zu fahren und von einem Besuch zum nächsten zu jagen. Daher wurde wieder eine Tischpräsentation organisiert, bei der mir vor allem die neuen Weine von de Moya in Erinnerung geblieben sind. Bislang kannte ich nur die auf der Rebsorte Bobal basierenden Rotweine, die auch schon in Deutschland vertrieben werden. Yves Laurijssens stellte mir daher Fassproben seiner beiden neuen Monastrell-Weine vor. Der 2015 Gloria Monastrell zeigte sich dabei mit – für einen Monastrell – erstaunlich feinen und eleganten Stilistik. Der 2015 Julia Monastrell hingegen ist der eher moderne Monastrell-Stil mit reifer – fast überreifer – Fruchtaromatik und damit verbundenem leicht fruchtsüßlichem Eindruck. Gloria ist mehr mein Fall. Trinkiger. Gastronomischer.

Am dritten Tag der Tour stand die Herkunft Alicante auf der Tagesordnung. Am Morgen empfing uns Pepe Mendoza auf seiner Finca inmitten der Weinberge beim Ort Villena im Hinterland der Stadt Alicante, gut 50 km entfernt. Auch Pepe machte mit uns erst einmal einen Spaziergang durch die Weinberge und erzählte seine Geschichte, von seinen Ideen und seiner Herangehensweise. Zurück auf der Finca ließ er den Worten Taten folgen. Besser gesagt: Weine. Zu Beginn der Probe entführte uns Pepe in sein Versuchslabor. Ein knochentrockener 2015 Moscatel, in einer Amphore für 60 Tage auf den Schalen ausgebaut, stand sichtlich trüb vor uns im Glase. Beim Verkosten bekam ich dann jedoch trübe Augen. Der Wein war einfach umwerfend. Geprägt von getrockneten Orangenscheiben, Orangenblüten, etwas kandiertem Ingwer und mit einer irren Textur ausgestattet. Krass. Aber leider nur für den eigenen Verzehr – so Pepe … Ebenso wie der 2014 Monastrell „Hippie“, den Pepe komplett ohne Schwefelzusatz ausgebaut hat. Klare Frucht, Kraft und doch auch Finesse. Ein Hippie? Auf jeden Fall ein Wein mit Spannungspotential. Bei der Verkostung der „regulären“ Weine von Enrique Mendoza, sind mir vor allem die Monastrells in Erinnerung geblieben. Nicht, dass der 2011 Santa Rosa kein guter Wein wäre. Aber ihm fehlt – für mein Dafürhalten – die Heimat. Cabernet, Merlot und Syrah als Cuvée. Gut gemacht, zugänglich, aber auch sehr vergleichbar. Klagen auf hohem Niveau. Beeindruckend hingegen fand ich den Einzellagen-Monastrell Estrecho, den wir als Jahrgang 2011 und 2014 verkosten konnten. 2014 noch sehr jung und verschlossen, aber mit erkennbarem Potential. Der 2011 Estrecho Monastrell dann mit ätherischer Kräuterwürze und Säurespiel, dabei fast schlank und sehr trinkig. Insgesamt viel mir bei der Probe auf, dass Pepes Weine von Eleganz und Trinkigkeit geprägt sind.

An die Orange- und Amphorenweine aus den Proben denkend, fühle ich mich manchmal zurückversetzt in die späten 1980er Jahre, als Biowein in Deutschland etwas mehr aufkam und ein wichtigeres Thema in der Weinszene wurde. Ich erinnere mich an Weine, die konnte man nicht trinken. Die waren schlicht und einfach fehlerhaft. Aber Bio. Und was haben wir heute? Viele Spitzen-Weingüter haben auf Bio oder BioDyn umgestellt und die Weine sind authentisch, grandios und von großer handwerklicher Kunst. In den Anfängen springt der eine oder andere auf den Zug auf, der es nicht so meint – oder nicht so kann. Die, die übrigbleiben, haben Trends gesetzt. Haben neue (alte ?!?) Wege aufgezeigt. Und haben sicherlich auch hier und da einstecken müssen. Ist es nicht ebenso mit der Naturwein-, RAW-Wine- und Orangewine-Diskussion, die wir heute führen? Auch da sind Weine dazwischen, die schlicht und einfach fehlerhaft sind. Aber Orange / RAW. Na und? Es sind etliche für mich hochspannende Weine dabei, für die ich eine Zukunft sehe. Vor allem ändert sich die Sichtweise. Es wird nicht mehr nur von Frucht gesprochen. Texturen kommen ins Spiel. Und das Schöne daran? Die Weinwelt ist und bleibt in Bewegung und damit spannend. Zumindest der Teil der Weinwelt, in dem ich mich am liebsten bewege.